Mit „ahlan wa sahlan“ wird der Gast überall in Jordanien begrüßt und willkommen geheißen.
Und mit „assalumu alaikum“ – „Friede sei mit Euch“, genauso herzlich verabschiedet.
Die Gastfreundschaft des relativ jungen Jordaniens auf einem Gebiet einer sehr alten Geschichte ist für dieses „verkannte“ Land Programm.
Von der kargen Wüstenlandschaft des Wadi Rum über die majestätischen Ruinen vergangener Zivilisationen bis zu den Korallenriffen des Roten Meeres
präsentiert sich Jordanien als faszinierendes Reiseziel.
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Als "Reiseziel" der anderen Art steht Jordanien jedoch auch für Flüchtlinge aus dem benachbarten Syrien offen.
Ich durfte auf meiner Reise durch Jordanien auch einen kurzen, aber mich doch sehr verändernden Moment auf den "Nebenschauplatz" eines Krieges erleben.
Bericht aus dem Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien
Um Ali bittet uns in ihr nagelneues weißes Zelt einzutreten.
Sie erzählt uns, sie sei gerade vor wenigen Tagen aus Syrien mit ihren fünf minderjährigen Kindern und ihrer Mutter nach Jordanien geflüchtet.
Bewaffnete syrische Milizen hätten ihr Dorf besetzt und das sofortige Verlassen ihrer Häuser angeordnet.
Höflich und etwas beschämt entschuldigt sich Um Ali, dass sie uns nichts anbieten könne,
sie sei dennoch dankbar, dass sie hier in Sicherheit leben könne.
Im größten Flüchtlingslager in der jordanischen Halbwüste bewohnt sie ein etwa 15 Quadratmeter großes Zelt,
das mit nur einer Fußmatte und Schaumstoff Matratzen ausgestattet ist.
Eine Küche hat sie nicht, denn sie bekommt eine kostenlose Verpflegung.
Hier im Flüchtlingslager Zaatari an der syrischen Grenze habe sie Nachbarn und alte Bekannte wieder gesehen,
die seit über einem Jahr im Lager leben. Wie lange sie hier bleiben werde, wisse nur Allah der Allmächtige, sagt sie uns.
Für den Besuch des Flüchtlingslagers haben wir trotz Einladung über zwei Stunden am vom jordanischen Sicherheitssoldaten kontrollierten Haupteingang warten müssen.
Immer wieder halten hier Busse an, aus denen neue Flüchtlinge aus Syrien ausstiegen.
Für den langen in der Hitze beschwerlichen Fußmarsch bis zum zugeteilten Platz bieten Jugendliche ihre Hilfe an.
Mit Schubkarren transportieren sie die Habseligkeiten für ein kleines Entgelt, auf das sie und ihre Familien wiederum angewiesen sind.
Einige der Flüchtlinge marschieren aus dem Lager heraus, entweder um Einkäufe zu erledigen oder um in andere jordanische Ortschaften zu gelangen.
Hassan, ebenfalls ein syrischer Flüchtling, berichtet, dass viele Flüchtlinge aus Gründen der Familienzusammenführung eine Genehmigung zumVerlassen des Lagers
von den jordanischen Behörden erhalten. Ohne gesellschaftliche Spannungen verlaufen solche gut beabsichtigten Maßnahmen allerdings nicht.
Zahlungskräftige syrische Flüchtlinge verdrängen mittlerweile Einheimische aus ihren Mietwohnungen.
Paradoxerweise wurden um die Städte Mafraq und Ramtha inzwischen für die dadurch obdachlos gewordenen mittellosen Jordanier Notzelte aufgebaut.
Darüber hinaus übernehmen geflüchtete Syrer häufig Arbeiten zu geringerem Lohn, so dass dadurch wiederum viele Jordanier und vor allem auch
ägyptische Gastarbeiter arbeitslos werden. Jordanien ist gänzlich überfordert, und hat aber keine andere Möglichkeit als die Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufzunehmen.
Um das trostlose Leben im Flüchtlingslager, in dem zurzeit etwa 140.000 Menschen eng zusammen leben, abwechslungsreich zu gestalten,
bemühen sich lokale Verbände. Heute werden wir Zuschauer einer Theater-Inszenierung. Kinder und Jugendliche treten als Schauspieler und Statisten auf,
sie führen mit großer Begeisterung Hamlet unter dem Titel „Shakespeare in Zaatari“ auf. Das Theaterstück wird von vielen Fernsehanstalten aufgenommen,
möglicherweise deshalb, weil Angelina Julie ihre Teilnahme angekündigt hatte.
Seit seiner Gründung erfüllt das heutige Jordanien immer noch die ihm einst von Großbritannien zugeteilte Funktion, nämlich eine Art Pufferzone
zwischen den umgebenden Nachbarn zu sein. Das relativ kleine Land mitknapp 6 Millionen Einwohnern, die überwiegend palästinensischen Flüchtlingen von 1948 sind,
beherbergt nun über eine Million syrische Flüchtlinge, die bereits 18 Prozent der Bevölkerung ausmachen.
Diese Dimension wird erst deutlich, wenn sie auf Deutschland übertragen wird. Man stelle sich einfach vor,
dass innerhalb eines Jahres etwa 19 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland flüchten würden.
Kurt Nägele resümiert folgerichtig:
„Der Libanon nahm ca. 1.000.000 Flüchtlinge auf, die Türkei ca. 650.000 etc. Und was macht Deutschland?
Es hat sich doch tatsächlich bereit erklärt 5.000 Syrische Flüchtlinge aufzunehmen (Mittlerweile auf 10.000 Flüchtlinge aufgestockt).
Eigentlich ist das ein Grund, sich zu schämen... „
Text: Nazih Musharbash, Fotos: Kurt Nägele, April 2014
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Nachtrag Januar 2018:
Das Flüchtlingslager Zaatari ist mittlerweile die viertgrößte Stadt in Jordanien. Wo bis vor wenigen Jahren eine menschenleere Geröllwüste war,
leben mittlerweile 80.000 Menschen, davon sind mehr als die Hälfte Kinder.
Ach ja, Deutschland hat mittlerweise auch mehr getan. Ob es jedoch genug ist, wage ich zu bezweifeln.
Und irgendwie schäme ich mich, bei dem in Deutschland zunehmenden rechtem Gedankengut immer mehr...
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